Auf dem Weg zur Klimaneutralität
Kreislaufwirtschaft und zirkuläre Geschäftsmodelle gewinnen in der Forschung sowie in der praktischen Umsetzung auf dem Weg zur Klimaneutralität immer mehr an Bedeutung. Sie können Hebel sein, um Ressourcen und Potenziale des Bausektors für den Übergang zu einer nachhaltigeren Wirtschaft voranzutreiben und den Materialeinsatz zu minimieren.
Dennoch besteht erhebliche Unsicherheit darüber, wie die neuen Geschäftsmodelle in den bestehenden Wert-schöpfungsketten der Bauindustrie umgesetzt werden können und welche Wertströme dadurch entstehen.
Langjähriger Fokus auf Nutzungsphase
Lange Jahre lag der Fokus von ordnungsrechtlichen Vorgaben, aber auch der Schwerpunkt der Bundesförderprogramme im Gebäudebereich auf einer Verbesserung des energetischen Standards bei Neubauten und bei Sanierungen. Gefordert bzw. gefördert wurden primär Maßnahmen, die den Energieverbrauch vor allem fossiler Energieträger in der Nutzungsphase des Gebäudes verringern sollten: eine gute Gebäudehülle, effiziente Haustechnik und der Einsatz von erneuerbaren Energien. Diese Vorgaben bzw. Anreize hatten zur Folge, dass bei modernen Gebäuden mit hohem Effizienzstandard der Energiebedarf für den Betrieb in der Nutzungsphase (Heizung, Warmwasser, Kühlung etc.) mittlerweile sehr gering ausfallen kann.
Lebenszyklusbetrachtung wichtig für Klimaneutralität
Soll der Gebäudebestand in Deutschland zukünftig aber nicht nur energieeffizient, sondern auch klimaneutral sein, muss der Fokus diesbezüglich erweitert werden. Für die Klimaneutralität eines Gebäudes sind nämlich nicht nur Ressourcen- und Energieverbräuche während der Nutzungsphase von Bedeutung, vielmehr müssen diese Verbräuche und auch die damit verbundenen Emissionen über den gesamten Entstehungs-, Nutzungs- und Nachnutzungszeitraum eines Gebäudes betrachtet werden. Gerade, weil hocheffiziente Gebäude im Betrieb wenig Energie verbrauchen, werden perspektivisch der Energie-, aber auch der Ressourcenverbrauch und die daraus folgenden Treibhausgasemissionen für Herstellung, Instandhaltung und Rückbau des Gebäudes sogar die bedeutendere Rolle hinsichtlich der Klimaneutralität im Bausektor spielen. Sie machen bezogen auf den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes in vielen Fällen den größeren Posten aus. Emissionen aus der Gewinnung und Verarbeitung von Rohstoffen, der Herstellung von Baumaterialien, Transportwegen, dem Gebäudebau und Rückbau sowie der Entsorgung und der zugehörige Energieverbrauch werden damit zu einem immer größeren Faktor für den Klimaschutz, speziell bei Neubauten. Man spricht dann von den grauen Emissionen oder der grauen Energie, die sich in einem Baumaterial verbirgt.
Potenziale für den Klimaschutz
Diese versteckten Potenziale zur Energie- und Emissionseinsparung sollten deshalb nicht länger vernachlässigt werden. Beispielsweise macht selbst bei einem Neubau auf der mittlerweile weitverbreiteten Effizienzhaus-Stufe 55 die graue Energie etwa 50 Prozent des Energieverbrauchs im Laufe des Lebenszyklus aus. Mit weiter sinkenden Energieverbräuchen in der Nutzungsphase wird der graue Energieverbrauch wahrscheinlich sogar die entscheidendere Rolle bei der Realisierung eines klimaneutralen Gebäudebestands spielen. Ein noch höheres Potenzial für die Ressourcenschonung und Emissionsvermeidung bieten Sanierung und Weiternutzung von bereits errichteten Gebäuden, weil diese nicht mit entsprechendem Material- und Energieaufwand neu errichtet werden müssen.
Graue Energie und Emissionen werden in Planung und Umsetzung von Gebäuden allerdings vielfach noch zu wenig berücksichtigt. Dabei spielt beispielsweise die Auswahl der Baumaterialien im Zusammenhang mit dem Klimawandel eine bedeutende Rolle. Das Bauwesen hat einen erheblichen Einfluss auf den Rohstoffeinsatz und den Ressourcenverbrauch. So werden in Deutschland mit jährlich 517 Millionen Tonnen 90 Prozent des inländischen mineralischen Rohstoffabbaus in Gebäuden verbaut. Das gesamte verbaute Material im deutschen Gebäudebestand wird auf ca. 15 Milliarden Tonnen geschätzt. Diese Materialien können bei knapper werdenden Ressourcen und unter Berücksichtigung entsprechender Verarbeitungs- sowie Rückbaumethoden weiter genutzt werden. Diese Zahlen veranschaulichen, dass es auch bei der Wahl der Baumaterialien sinnvoll ist, auf nachwachsende bzw. wiederverwertbare und nachnutzungsfähige Rohstoffe und vor allem langlebige Bauprodukte zu achten.